Blindstrom
Die Begriffe Blindstrom und Wirkstrom finden Verwendung in der 
Elektrotechnik, insbesondere im Zusammenhang mit der Übertragung von elektrischer 
Energie. Häufig ist der Augenblickswert 
der Stromstärke 
nicht proportional 
zum Augenblickswert der elektrischen 
Spannung. Während die elektrische Wechselspannung 
 
als eingeprägte 
Spannung fast immer nahezu sinusförmig verläuft, kann die Wechselstromstärke 
 
zeitlich verschoben oder in der Form verändert (verzerrt) 
sein.
Ein Beschreibungsmodell ist die Aufspaltung in zwei Komponenten, von denen 
die eine proportional zur Spannung ist und als Wirkstromstärke  
bezeichnet wird. Die dazu orthogonale andere Komponente ist die Blindstromstärke 
 
(zur Orthogonalität siehe Anmerkung).
 
Während der Wirkstrom für die elektrische Arbeit oder den Transport von elektrischer Energie steht, die beim Verbraucher in mechanische, thermische oder chemische Energie umgewandelt wird, ist der zusätzlich fließende Blindstrom daran unbeteiligt.
bzw. für den Effektivwert
Auslöser von Blindstrom sind
- nichtlineare Bauelemente, die eine Verzerrung hervorrufen (Verzerrungsblindstrom), sowie
 - kapazitive oder induktive Bauelemente, die eine Phasenverschiebung zwischen Spannung und Strom hervorrufen (Verschiebungsblindstrom).
 
Sinusförmiger Strom- und Spannungsverlauf
 
Wenn bei einem linearen 
Verbraucher 
die Augenblickswerte von  
und 
 
nicht zueinander proportional sind, so ist die eine Größe gegenüber der anderen 
in ihrem Phasenwinkel 
verschoben. Der Wirkstrom ist derjenige Stromanteil, welcher mit der 
Spannung im Phasenwinkel übereinstimmt. Der Blindstrom ist derjenige 
Stromanteil, welcher zur sinusförmigen Spannung um 90° verschoben ist. Man 
unterscheidet zwischen kapazitivem Blindstrom, welcher der Spannung um 
90° voreilt, und induktivem Blindstrom, welcher der Spannung um 90° 
nacheilt, je nachdem, ob der Blindstrom durch Kapazitäten (Kondensatoren oder 
Leitungskapazität) oder Induktivitäten (induktive Verbraucher oder 
Leitungsinduktivität) entsteht.
Bei einem Phasenverschiebungswinkel  
kann der Effektivwert der Stromstärke 
 
aufgespalten werden in eine Wirkstromstärke
und eine Blindstromstärke
Damit verbunden sind die Begriffe Wirkleistung
Verschiebungsblindleistung (wenn keine Verwechselung möglich ist, einfach Blindleistung)
und Gesamtblindleistung
Dabei steht  
für die Scheinleistung.
Wirkstrom ohne begleitenden Blindanteil entsteht durch ohmsche Verbraucher, z.B. konventionelle Heizgeräte. Generell entsteht Wirkstrom bei allen Verbrauchern, die in ihrem elektrischen Widerstand einen ohmschen Anteil aufweisen. Im Niederspannungsnetz kann aufgrund der Leitungsinduktivität und vieler induktiver Verbraucher (z.B. Motoren, Transformatoren, Vorschaltgeräte, Induktionsöfen usw., also Spulen jeglicher Art) ein erheblicher induktiver Blindstrom auftreten, der zur Erzeugung von Magnetfeldern benötigt wird, die im Rhythmus der Wechselspannung auf- und abgebaut werden; der Blindstrom steht somit für den Transport von Energie, die zwischen Erzeuger und Verbraucher pendelt. Diesen Strom möchte man auf den Leitungen reduzieren oder vermeiden, da er an deren ohmschen Widerständen eine Verlustleistung bewirkt.
Bei Antrieben mit Asynchronmaschinen ist der Blindstrombedarf durch den Motor definiert und weitgehend unabhängig von der mechanischen Antriebsleistung. Da der Blindstrom den Strom im Stromnetz unnötig erhöht, stellen die Energieversorgungsunternehmen Großabnehmern die vom Blindstrom verursachte Blindarbeit („Blindleistungsverbrauch“) in Rechnung. Daher betreiben die Großabnehmer Einrichtungen zur Blindstromkompensation. Diese sind in erster Linie Kondensatoren, die einen kapazitiven Blindstrom aufnehmen, der dem üblicherweise induktiven Blindstrom der Verbraucher entgegengesetzt gerichtet ist und ihn näherungsweise aufhebt.
Im Hochspannungsnetz entsteht durch den Kapazitätsbelag der Leitungen kapazitiver Blindstrom, der jedoch weitgehend im Niederspannungsnetz kompensiert wird. In Erdkabeln wirkt der Blindstromanteil allerdings begrenzend auf die realisierbare Kabellänge.
Nicht sinusförmiger Stromverlauf
Bei nicht sinusförmigem oder „verzerrtem“ Wechselstrom, der bei nicht 
linearen Verbrauchern wie beispielsweise Stromrichtern 
trotz sinusförmiger Spannung auftritt, muss das Beschreibungsmodell auf die 
sinusförmige Grundschwingung und deren Oberschwingungen mit 
ganzzahligen Vielfachen der Netzfrequenz erweitert werden. Die Stromanteile mit 
Oberschwingungen werden zusammenfassend als Oberschwingungsstrom oder 
Verzerrungsstrom  
bezeichnet. Sie bewirken bei sinusförmiger Netzspannung im zeitlichen Mittel 
ebenfalls keine Energieübertragung, sondern nur eine sogenannte 
Verzerrungsblindleistung.
Bezeichnet man die Stromkomponente mit der gegenüber der Grundfrequenz -fach 
höheren Frequenz mit 
, 
so ergibt sich
(nur Grundschwingung vorhanden)
bzw. für den Effektivwert
Der Effektivwert der gesamten Wechselstromstärke ergibt sich als pythagoräische Summe der Grundschwingungsstromstärke und Oberschwingungsstromstärken zu
Von der gesamten Stromstärke geht einzig der Wirkanteil des Grundschwingungsstromes
in die Wirkleistung ein,
Zusätzlich zur Verschiebungsblindleistung der Grundschwingung
verursacht der Verzerrungsstrom die Verzerrungsblindleistung
und zusammen die Gesamtblindleistung
Nicht sinusförmiger Spannungsverlauf
In diesem bei der elektrischen Energieübertragung weniger wichtigen, aber bei Schaltnetzteilen bedeutsamen Fall gilt für den gesamten Wirkstrom
und den gesamten Blindstrom
Messung von Wirk- und Blindstrom
Bei sinusförmigem Strom eignet sich zur Messung von Wirkstrom (im üblichen 
Bereich ) 
der gesteuerte 
Gleichrichter, dessen arithmetisch gemittelte Ausgangsspannung proportional 
zu
ist. Dem Messgerät muss zusätzlich zum Strom auch die Bezugsspannung zugeführt werden. Bei verzerrtem Strom wird das Ergebnis durch ungeradzahlige Oberschwingungen beeinflusst.
Mit einer zur Bezugsspannung um +90° oder –90° verschobenen Spannung (so gewählt, dass die gemittelte Ausgangsspannung positiv wird) wird entsprechend
messbar.
Anmerkung
Als orthogonal zur Spannung  
werden alle Anteile 
 
an der Stromstärke 
 
bezeichnet, bei denen die Bedingung 
 
erfüllt ist.
- Beispiel 1: Zu 
orthogonal ist ein Stromanteil
.
 
- Die beiden Größen sind sinusförmig und von gleicher Frequenz, unterscheiden sich aber im Phasenwinkel um 90°.
 
- Beispiel 2: Zu 
orthogonal sind die Stromanteile
, wenn
.
 
- Die beiden Größen sind sinusförmig, unterscheiden sich aber in der Frequenz um einen rationalen Faktor ≠ 1.
 


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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 24.08. 2024