Polynomring

Wenn R ein kommutativer Ring mit einer 1 ist, dann ist der Polynomring R[X] die Menge aller Polynome mit Koeffizienten aus dem Ring R und der Variablen X zusammen mit der üblichen Addition und Multiplikation von Polynomen. Davon zu unterscheiden sind in der abstrakten Algebra die Polynomfunktionen, nicht zuletzt, weil unterschiedliche Polynome dieselbe Polynomfunktion induzieren können.

Definitionen

Der Polynomring R[X]

R[X] ist die Menge

{\displaystyle R^{(\mathbb {N} _{0})}:=\left\{(a_{i})_{i\in \mathbb {N} _{0}}\mid a_{i}\in R,a_{i}=0\ \mathrm {f{\ddot {u}}r} {\text{ fast alle }}i\right\}}

der Folgen in R, bei denen fast alle, also alle bis auf endlich viele, Folgenglieder gleich {\displaystyle 0} sind.

Die Addition wird komponentenweise durchgeführt:

(a_{i})_{{i\in \mathbb{N} _{0}}}+(b_{i})_{{i\in \mathbb{N} _{0}}}:=(a_{i}+b_{i})_{{i\in \mathbb{N} _{0}}}

und die Faltung der Folgen definiert die Multiplikation

(a_{i})_{{i\in \mathbb{N} _{0}}}\cdot (b_{i})_{{i\in \mathbb{N} _{0}}}:=\left(\sum _{{i=0}}^{{k}}a_{i}b_{{k-i}}\right)_{{k\in \mathbb{N} _{0}}}=\left(\sum _{{i+j=k}}a_{i}b_{j}\right)_{{k\in \mathbb{N} _{0}}}.

Durch diese Verknüpfungen wird auf dem Raum der endlichen Folgen eine Ringstruktur definiert, dieser Ring wird als R[X] bezeichnet.

In diesem Ring wird X \in R^{(\N_0)} definiert als

{\displaystyle X=X^{1}:=(0,1,0,0,\dotsc )}

und die {\displaystyle 1\in R^{(\mathbb {N} _{0})}} ist

{\displaystyle 1:=X^{0}=(1,0,0,0,\dotsc )} .

Aus der Definition der Multiplikation durch Faltung folgt dann, dass

{\displaystyle X^{k}:=\underbrace {X\cdot X\dotsm X} _{k{\text{-mal das }}X}=(\underbrace {0,0,\dotsc ,0} _{k{\text{ Nullen}}},1,0,0,\dotsc )}

ist und in der Klammer rechts genau an der (k+1)-ten Stelle eine Eins steht, ansonsten besteht die Folge ausschließlich aus Nullen.

Mit dem Erzeuger X kann nun jedes Element f aus R^{{(\mathbb{N} _{0})}} eindeutig in der geläufigen Polynomschreibweise

{\displaystyle f=a_{0}+a_{1}X+a_{2}X^{2}+\dotsb +a_{n}X^{n}=\sum _{i=0}^{n}a_{i}X^{i}}

dargestellt werden. Die einzelnen Folgenglieder a_{i} nennt man die Koeffizienten des Polynoms.

Damit erhält man den Polynomring R[X] über R in der Unbestimmten X.

Der Polynomring in mehreren Veränderlichen

Der Polynomring in mehreren Veränderlichen wird rekursiv definiert durch:

R[X_{1},\dotsc ,X_{n}]:=R[X_{1},\dotsc ,X_{{n-1}}][X_{n}]

Man betrachtet hier also Polynome in der Variablen X_{n} mit Koeffizienten aus dem Polynomring R[X_{1},\dotsc ,X_{{n-1}}], wobei dieser wieder genauso definiert ist. Dies kann man solange fortsetzen, bis man bei der Definition des Polynomrings in einer Veränderlichen angekommen ist. In R[X_{1},\dotsc ,X_{n}] kann man jedes Element eindeutig als

\sum _{{k=(k_{1},\dotsc ,k_{n})\in \mathbb{N} _{0}^{n}}}{a_{k}\,X_{1}^{{k_{1}}}\dotsm X_{n}^{{k_{n}}}}

schreiben.

Der Polynomring in beliebig vielen Unbestimmten (mit einer Indexmenge J) kann entweder als der Monoidring über dem freien kommutativen Monoid über J oder als der Kolimes der Polynomringe über endliche Teilmengen von J definiert werden.

Der Quotientenkörper

Ist K ein Körper, so ist K(X) die Bezeichnung für den Quotientenkörper von K[X], den rationalen Funktionenkörper. Analog wird der Quotientenkörper eines Polynomrings K[X_{1},\dotsc ,X_{n}] über mehreren Unbestimmten mit K(X_{1},\dotsc ,X_{n}) bezeichnet.

Eigenschaften

Gradsatz

Die Funktion

{\displaystyle {\begin{array}{rccl}\deg \colon &R[X]&\to &\quad \mathbb {N} _{0}\cup \{-\infty \}\\&f&\mapsto &{\begin{cases}\max \left\{k\in \mathbb {N} _{0}\mid a_{k}\neq 0\right\},&{\text{wenn }}f\neq 0\\-\infty ,&{\text{wenn }}f=0\end{cases}}\end{array}}}

definiert den Grad des Polynoms f in der Unbestimmten X. Hierbei gelten für -\infty die üblichen Maßgaben für Vergleich und Addition: für alle k\in \mathbb{N} _{0} gilt -\infty <k und -\infty +k=-\infty .

Der Koeffizient {\displaystyle a_{\deg(f)}} wird der Leitkoeffizient von f\neq 0 genannt.

Es gilt für alle f,g\in R[X]

(Enthält R keine Nullteiler – präziser: sind die Leitkoeffizienten keine Nullteiler – gilt die Gleichheit.)

Aus diesem Gradsatz folgt insbesondere, dass, wenn R ein Körper ist, die Einheiten genau den Polynomen mit Grad null entsprechen, und das sind die Konstanten ungleich null.

Bei einem Körper R wird R[X] durch die Gradfunktion zu einem euklidischen Ring: Es gibt eine Division mit Rest, bei der der Rest einen kleineren Grad als der Divisor hat.

Beispiele
 
  1. Sei R:=\mathbb{Z } der Ring der ganzen Zahlen. Dann sind f:=1+2X\neq 0 und g:=1+3X\neq 0 beide vom Grad 1. Das Produkt f\cdot g=1+5X+6X^{2} hat den Grad 2, wie sich auch aus \operatorname {deg}(f\cdot g)=\operatorname {deg}(f)+\operatorname {deg}(g) ausrechnet.
  2. Sei R:=\mathbb{Z } /6\mathbb{Z } der Restklassenring modulo 6 (ein Ring mit den nicht-trivialen Nullteilern 2 und 3) und wie oben f:=1+2X und g:=1+3X. Beide sind \not \equiv 0\mod 6 und auch hier vom Grad 1. Aber f\cdot g=1+5X+6X^{2}\equiv 1+5X\mod 6 hat den Grad 1 und 1=\operatorname {deg}(f\cdot g)<\operatorname {deg}(f)+\operatorname {deg}(g)=2.

Gradsatz für Polynome in mehreren Veränderlichen

Bei einem Monom

a_{{k_{1},\dotsc ,k_{n}}}\,X_{1}^{{k_{1}}}\dotsm X_{n}^{{k_{n}}}

definiert man die Summe der Exponenten

{\displaystyle k_{1}+\dotsb +k_{n}}

als den Totalgrad des Monoms, falls a_{{k_{1},\dotsc ,k_{n}}}\,\neq 0. Der Grad d des nichtverschwindenden Polynoms

\sum _{{k=(k_{1},\dotsc ,k_{n})\in \mathbb{N} _{0}^{n}}}{a_{k}\,X_{1}^{{k_{1}}}\dotsm X_{n}^{{k_{n}}}}

in mehreren Veränderlichen wird definiert als der maximale Totalgrad der (nichtverschwindenden) Monome. Eine Summe von Monomen von gleichem Totalgrad ist ein homogenes Polynom. Die Summe aller Monome vom Grad d, d.i. das maximale homogene Unterpolynom von maximalem Grad, spielt (bezogen auf alle Veränderliche zusammen) die Rolle des Leitkoeffizienten. (Der Leitkoeffizient einer einzelnen Unbestimmten ist ein Polynom in den anderen Unbestimmten.)

Der Gradsatz gilt auch für Polynome in mehreren Veränderlichen.

Elementare Operationen, Polynomalgebra

In der Polynomschreibweise sehen Addition und Multiplikation für Elemente {\displaystyle \textstyle f=\sum _{i=0}^{m}f_{i}X^{i}} und {\displaystyle \textstyle g=\sum _{i=0}^{n}g_{i}X^{i}} des Polynomrings R[X] wie folgt aus:

f+g=\sum _{{k=0}}^{{\max(m,n)}}(f_{k}+g_{k})X^{k},
f\cdot g=\sum _{{k=0}}^{{m+n}}\left(\sum _{{i+j=k}}f_{i}\cdot g_{j}\right)X^{k}

Der Polynomring R[X] ist nicht nur ein kommutativer Ring, sondern auch ein Modul über R, wobei die Skalarmultiplikation gliedweise definiert ist. Damit ist R[X] sogar eine kommutative assoziative Algebra über R.

Homomorphismen

Falls A und B kommutative Ringe mit 1 sind und \varphi \colon A\to B ein Homomorphismus ist, dann ist auch

{\tilde  \varphi }\colon A[X]\to B[X],\quad \sum _{{i=1}}^{{n}}{a_{i}X^{i}}\,\mapsto \,\sum _{{i=1}}^{{n}}\varphi (a_{i})X^{i} ein Homomorphismus.

Falls A und B kommutative Ringe mit 1 sind und \varphi \colon A\to B ein Homomorphismus ist, dann gibt es für jedes b\in B einen eindeutigen Homomorphismus \phi _{b}\colon A[X]\to B, der eingeschränkt auf A gleich \varphi ist und für den \phi _{b}(X)=b gilt, nämlich \phi _{b}\left(\sum {a_{i}X^{i}}\right)=\sum {\varphi (a_{i})b^{i}}.

Algebraische Eigenschaften

Ist R ein kommutativer Ring mit 1, so gilt:

Polynomfunktion und Einsetzungshomomorphismus

Hauptartikel: Satz über den Einsetzungshomomorphismus

Ist

f=a_{0}+a_{1}X+\dotsb +a_{n}X^{n}

ein Polynom aus R[X], so nennt man

f_{R}\colon R\to R,\quad x\mapsto f_{R}(x)=a_{0}+a_{1}x+\dotsb +a_{n}x^{n}

die zu f gehörende Polynomfunktion. Allgemeiner definiert f auch für jeden Ringhomomorphismus {\displaystyle \phi \colon R\to S} (in einen kommutativen Ring S mit 1) eine Polynomfunktion f_{S}\colon S\to S,\ x\mapsto f_{S}(x). Der Index wird oft weggelassen.

Umgekehrt haben Polynomringe R[X] über einem kommutativen Ring R mit 1 die folgende universelle Eigenschaft:

Gegeben ein Ring S (kommutativ mit 1), ein Ringhomomorphismus {\displaystyle \phi \colon R\to S} und ein s\in S, so gibt es genau einen Homomorphismus {\displaystyle \Phi \colon R\left[X\right]\to S} mit {\displaystyle \Phi (X)=s}, so dass \Phi eine Fortsetzung von \phi ist, also {\displaystyle \Phi \mid _{R}=\phi } gilt.

Diese Eigenschaft wird „universell“ genannt, weil sie den Polynomring R[X] bis auf Isomorphie eindeutig bestimmt.

Der Homomorphismus

{\displaystyle \Phi \colon a_{0}+a_{1}X+a_{2}X^{2}+\dotsb +a_{n}X^{n}\longmapsto a_{0}+a_{1}s+\dotsb +a_{n}s^{n},}

wird der Auswertung(-shomomorphismus) für s oder Einsetzung(-shomomorphismus) von s genannt.

Beispiele

Polynomfunktionen

Ist R ein Ring (kommutativ mit 1), dann ist auch die Menge {\displaystyle \operatorname {Abb} (R,R)} der Abbildungen von R in sich ein Ring und nach der universellen Eigenschaft gibt es einen Homomorphismus

{\displaystyle \Phi \colon R\left[X\right]\to \operatorname {Abb} (R,R)}

mit {\displaystyle \Phi (a)=c_{a}} (die konstante Abbildung) für alle a\in R und {\displaystyle \Phi (X)=id_{R}} (die Identitätsabbildung).

{\displaystyle {\overline {f}}:=\Phi (f)}

ist die dem Polynom f zugeordnete Polynomfunktion. Der Homomorphismus

{\displaystyle f\to {\overline {f}}}

ist nicht notwendig injektiv, zum Beispiel ist für {\displaystyle R=\mathbb {Z} /2\mathbb {Z} } und {\displaystyle f=X^{2}+X\in R\left[X\right]} die zugehörige Polynomfunktion {\displaystyle {\overline {f}}=0}.

Beispiele

Ein Polynom über einem endlichen Körper

Da in dem endlichen Körper \mathbb {F} _{q} die Einheitengruppe zyklisch mit der Ordnung q-1 ist, gilt für x\in {\mathbb  F}_{q} die Gleichung x^{q}=x. Deswegen ist die Polynomfunktion f_{{{\mathbb  F}_{q}}}\colon {\mathbb  F}_{q}\to {\mathbb  F}_{q} des Polynoms

f=X^{q}-X=\prod _{{a\in {\mathbb  F}_{q}}}(X-a)\in {\mathbb  F}_{q}[X]

die Nullfunktion, obwohl f nicht das Nullpolynom ist.

Ist q eine Primzahl, dann entspricht dies genau dem kleinen fermatschen Satz.

Polynome mit zwei Veränderlichen

Ist {\displaystyle f\in \mathbb {Z} [X]} oder {\displaystyle f\in \mathbb {R} [X]} ein vom Nullpolynom verschiedenes Polynom, so ist die Anzahl der Nullstellen von f endlich. Bei Polynomen mit mehreren Unbestimmten kann die Nullstellenmenge ebenfalls endlich sein:

Das Polynom {\displaystyle f=((X-2)(X-3))^{2}+Y^{2}\in \mathbb {R} [X,Y]} hat die Nullstellen (2,0) und {\displaystyle (3,0)} in {\displaystyle \mathbb {R} ^{2}}.

Es kann aber ebenso unendliche Nullstellenmengen geben:

Das Polynom {\displaystyle f=X^{2}+Y^{2}-1\in \mathbb {R} [X,Y]} besitzt als Nullstellenmenge die Einheitskreislinie {\displaystyle \{(x,y)\in \mathbb {R} ^{2}:x^{2}+y^{2}=1\}}, welche eine kompakte Teilmenge von {\displaystyle \mathbb {R} ^{2}} ist. Das Polynom {\displaystyle g=Y-X^{2}\in \mathbb {R} [X,Y]} besitzt ebenfalls eine unendliche Nullstellenmenge, nämlich den Funktionsgraphen der Normalparabel, welcher nicht kompakt ist.

Das Studium von Nullstellenmengen polynomialer Gleichungen mit mehreren Unbestimmten führte zur Entwicklung des mathematischen Teilgebiets der algebraischen Geometrie.

Polynome im Komplexen

Jedes komplexe Polynom {\displaystyle f\in \mathbb {C} [X]} vom Grad n hat genau n Nullstellen in {\displaystyle \mathbb {C} }, wenn man jede Nullstelle gemäß ihrer Vielfachheit zählt. Dabei heißt eine Nullstelle z k-fach, falls (X-z)^{k} ein Teiler von f ist, (X-z)^{{k+1}} dagegen nicht mehr.

Insbesondere gilt dieser Fundamentalsatz der Algebra auch für reelle Polynome f\in\R[X], wenn man diese als Polynome in {\displaystyle \mathbb {C} [X]} auffasst. Zum Beispiel hat das Polynom X^{2}+1 die Nullstellen \mathrm {i} und -\mathrm{i}, da {\mathrm  {i}}^{2}=-1 und ebenso (-{\mathrm  {i}})^{2}=-1, also gilt X^{{2}}+1=(X+{\mathrm  {i}})(X-{\mathrm  {i}}).

Literatur

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Basierend auf einem Artikel in: Wikipedia.de
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 02.09. 2022