Produktregel

Die Produktregel oder Leibnizregel (nach G. W. Leibniz) ist eine grundlegende Regel der Differentialrechnung. Sie führt die Berechnung der Ableitung eines Produktes von Funktionen auf die Berechnung der Ableitungen der einzelnen Funktionen zurück.

Eine Anwendung der Produktregel in der Integralrechnung ist die Methode der partiellen Integration. Für den Fall, dass eine der beiden Funktionen konstant ist, geht die Produktregel in die einfachere Faktorregel über.

Aussage der Produktregel

Sind die Funktionen u und v von einem Intervall D in die Menge der reellen oder der komplexen Zahlen an einer Stelle x_{a} differenzierbar, so ist auch die durch

f(x) = u(x)\cdot v(x) für alle x\in D

definierte Funktion f an der Stelle x=x_a differenzierbar, und es gilt

f'(x_a) = u'(x_a)\cdot v(x_a) + u(x_a)\cdot v'(x_a)

oder kurz:

(uv)'=u'v+uv'

Anwendungsbeispiele

Im Folgenden sei stets f(x)=u(x)v(x).

\frac{\mathrm d}{\mathrm dx}x^2=f'(x)=u'(x)v(x)+u(x)v'(x)=1\cdot x+x\cdot 1=2x.
0=f'(x)=u'(x)v(x)+u(x)v'(x)=1\cdot \frac1x+x\cdot v'(x),
und durch Umformen erhält man die Aussage
v'(x)=-{\frac  1{x^{2}}}.

Verwendet man die Kurznotation (u\color{Blue}v\color{Black})' = u'\color{Blue}v\color{Black} + u\color{Blue}v\color{Black}' so erhält man beispielsweise für die Ableitung folgender Funktion

{\begin{aligned}f(x)&=(x^{2}-4)\cdot \color {Blue}(x^{3}+1)\\f'(x)&=2x\cdot \color {Blue}(x^{3}+1)\color {Black}+\color {Black}(x^{2}-4)\cdot \color {Blue}3x^{2}\\\end{aligned}}

Ausmultipliziert ergibt sich  f'(x) = 5x^4-12x^2+2x

Erklärung und Beweis

Geometrische Veranschaulichung des Beweises der Produktregel

Das Produkt u\cdot v zweier reeller (an einer Stelle x differenzierbarer) Funktionen u und v hat an der Stelle x den Wert u(x)\cdot v(x), der als Flächeninhalt eines Rechtecks mit den Seiten u(x) und v(x) gedeutet werden kann. Ändert sich nun x um \Delta x, so ändert sich u(x) um \Delta u(x) und v(x) um \Delta v(x). Die Änderung \Delta(u(x)\cdot v(x)) des Flächeninhalts u(x)\cdot v(x) setzt sich dann (siehe Abbildung) zusammen aus

\Delta(u(x)\cdot v(x))=u(x)\cdot \Delta v(x)+v(x)\cdot\Delta u(x)+\Delta u(x)\cdot\Delta v(x).

Dividiert man durch \Delta x, so ergibt sich mit

{\Delta (u(x)\cdot v(x)) \over \Delta x}=u(x)\cdot {\Delta v(x) \over \Delta x}+v(x)\cdot {\Delta u(x) \over \Delta x}+{\Delta u(x) \over \Delta x}\cdot \Delta v(x)

der Differenzenquotient der Produkt- oder Flächeninhaltsfunktion u\cdot v an der Stelle x.

Für \Delta x gegen {\displaystyle 0} strebt auch \Delta v(x) (und damit der ganze letzte Summand) gegen 0, sodass man an der Stelle x

(u\cdot v)'=u\cdot v'+v\cdot u'

erhält, wie behauptet. Dies ist auch im Wesentlichen die Argumentation, wie sie sich in einem ersten Beweis der Produktregel 1677 in einem Manuskript von Leibniz findet. Die Produktregel, die er dort gemeinsam mit der Quotientenregel beweist, war damit eine der ersten Regeln zur Anwendung der Infinitesimalrechnung, die er herleitete. Er benutzte allerdings keinen Grenzwert, sondern noch Differentiale und schloss, dass \Delta u\cdot\Delta v wegfällt, weil es im Vergleich zu den anderen Summanden infinitesimal klein sei. Euler benutzte noch dasselbe Argument, erst bei Cauchy findet sich ein Beweis mit Grenzwerten:

Gegeben sei die Funktion f durch f(x) = u(x) \cdot v(x). Die Ableitung von f an einer Stelle x ist dann durch den Grenzwert des Differenzenquotienten

\lim_{\Delta x \to 0} \frac {u(x+\Delta x)\cdot v(x+\Delta x)-u(x)\cdot v(x)}{\Delta x}

gegeben. Addition und Subtraktion des Terms \tfrac {u(x)\cdot v(x+\Delta x)}{\Delta x} liefert

\lim _{{\Delta x\to 0}}{\frac  {u(x+\Delta x)-u(x)}{\Delta x}}\cdot v(x+\Delta x)+\lim _{{\Delta x\to 0}}u(x)\cdot {\frac  {v(x+\Delta x)-v(x)}{\Delta x}}.

Das Ausführen der beiden Grenzübergänge liefert die Produktregel f'(x) = u'(x)\cdot v(x) + u(x)\cdot v'(x).

Verallgemeinerungen

Produkte von Vektoren und Matrix-Vektor-Produkte

Beim Beweis der Produktregel werden aus den Werten von u Linearkombinationen (Summen, Differenzen, Produkte mit Zahlen) gebildet, ebenso aus den Werten von {\displaystyle v.} Die Rollen von u und v sind dabei klar getrennt: u ist der linke Faktor, v der rechte. Der Beweis überträgt sich deswegen auf alle Produktbildungen, die sowohl im linken als auch im rechten Faktor linear sind. Insbesondere gilt die Produktregel auch für

Vektoren bzw. Matrizen sind dabei als Funktionen einer unabhängigen Variablen zu verstehen.

Mehr als zwei Faktoren

Die Produktregel kann sukzessive auch auf mehrere Faktoren angewandt werden. So wäre

(uvw)' = u'vw + uv'w + uvw' und
(uvwz)' = u'vwz + uv'wz + uvw'z + uvwz' usw.

Allgemein ist für eine Funktion \textstyle f=\prod _{{i=1}}^{n}f_{i}, die sich als Produkt von n Funktionen f_{i} schreiben lässt, die Ableitung

f'= \sum_{i=1}^n f_i' \prod_{k=1 \atop k\neq i}^n f_k.

Haben die Funktionen keine Nullstellen, so kann man diese Regel auch in der übersichtlichen Form

\frac{(f_1\cdots f_n)'}{f_1\cdots f_n}=\frac{f_1'}{f_1}+\cdots+\frac{f_n'}{f_n}    (oder kurz: {\frac  {f'}{f}}=\sum {\frac  {f_{i}'}{f_{i}}})

schreiben; derartige Brüche bezeichnet man als logarithmische Ableitungen.

Höhere Ableitungen

Auch die Regel für Ableitungen n-ter Ordnung für ein Produkt aus zwei Funktionen war schon Leibniz bekannt und wird entsprechend manchmal ebenfalls als Leibnizsche Regel bezeichnet. Sie ergibt sich aus der Produktregel mittels vollständiger Induktion zu

(uv)^{{(n)}}=\sum _{{k=0}}^{n}{n \choose k}u^{{(k)}}v^{{(n-k)}}.

Die hier auftretenden Ausdrücke der Form {\tbinom {n}{k}} sind Binomialkoeffizienten. Die obige Formel enthält die eigentliche Produktregel als Spezialfall. Sie hat auffallende Ähnlichkeit zum binomischen Lehrsatz

(a+b)^{n}=\sum _{{k=0}}^{n}{n \choose k}a^{k}b^{{n-k}}.

Diese Ähnlichkeit ist kein Zufall, der übliche Induktionsbeweis läuft in beiden Fällen vollkommen analog; man kann die Leibnizregel aber auch mit Hilfe des binomischen Satzes beweisen.

Für höhere Ableitungen von mehr als zwei Faktoren lässt sich ganz entsprechend das Multinomialtheorem übertragen. Es gilt:

{\displaystyle (u_{1}u_{2}\ldots u_{k})^{(n)}\,=\sum _{n_{1}+\ldots +n_{k}=n}{n \choose n_{1},\ldots ,n_{k}}\,u_{1}^{(n_{1})}u_{2}^{(n_{2})}\ldots u_{k}^{(n_{k})}}

Höherdimensionaler Definitionsbereich

Verallgemeinert man auf Funktionen mit höherdimensionalem Definitionsbereich, so lässt sich die Produktregel wie folgt formulieren: Es seien U\subseteq\mathbb R^n eine offene Teilmenge, u,v\colon U\to\mathbb R differenzierbare Funktionen und x\in {\mathbb  R}^{n} ein Richtungsvektor. Dann gilt die Produktregel für die Richtungsableitung:

{\frac  \partial {\partial x}}(uv)=\left({\frac  \partial {\partial x}}u\right)\cdot v+u\cdot {\frac  \partial {\partial x}}v.

Entsprechend gilt für die Gradienten

\nabla(uv)=(\nabla u)\cdot v+u\cdot\nabla v.

In der Sprache der differenzierbaren Mannigfaltigkeiten lauten diese beiden Aussagen:

x(uv)=xu\cdot v+u\cdot xv.
{\displaystyle \mathrm {d} (uv)=v\,\mathrm {d} u+u\,\mathrm {d} v}

Höhere partielle Ableitungen

Sei {\displaystyle \alpha ,\beta \in \mathbb {N} _{0}^{n},U\subseteq \mathbb {R} ^{n}~und~u,v\in C^{\alpha }(U,\mathbb {R} ).} Dann gilt:

{\displaystyle D^{\alpha }(uv)=\sum _{\beta \leq \alpha }{\alpha  \choose \beta }D^{\beta }uD^{\alpha -\beta }v}

Holomorphe Funktionen

Die Produktregel gilt auch für komplex differenzierbare Funktionen: Es sei U\subseteq \mathbb {C} und f,g\colon U\to\mathbb C holomorph. Dann ist fg holomorph, und es gilt

(fg)'=f'g+fg'.

Allgemeine differenzierbare Abbildungen

Es seien U\subseteq\mathbb R ein offenes Intervall, B eine Banachalgebra (z.B. die Algebra der reellen oder komplexen (n\times n)-Matrizen) und u,v\colon U\to B differenzierbare Funktionen. Dann gilt:

{\displaystyle (u\cdot v)'=u'\cdot v+u\cdot v'}

Dabei bezeichnet »·« die Multiplikation in der Banachalgebra.

Sind allgemeiner B^{{\prime }} und {\displaystyle B''} Banachräume, u\colon U\to B' und v\colon U\to B'' differenzierbare Funktionen, so gilt ebenfalls eine Produktregel, wobei die Funktion des Produktes von einer Bilinearform A\colon B'\times B''\to\mathbb R übernommen wird. Von dieser wird verlangt, dass sie stetig ist, also beschränkt:

|A(b',b'')|\leq C\cdot \|b'\|\cdot \|b''\| für alle b'\in B',b''\in B''

mit einer festen Konstante C. Dann gilt die Produktregel

{\frac  {{\mathrm  d}}{{\mathrm  d}x}}A(u(x),v(x))=A(u'(x),v(x))+A(u(x),v'(x)).

Entsprechende Aussagen gelten für höherdimensionale Definitionsbereiche.

Leibniz-Regel für dividierte Differenzen

Die Leibnizregel lässt sich auf dividierte Differenzen übertragen:

{\displaystyle [x_{0},\ldots ,x_{n}](f\cdot g)=\sum _{i=0}^{n}([x_{0},\ldots ,x_{i}]f)\cdot ([x_{i},\ldots ,x_{n}]g)}

Der Spezialfall

{\displaystyle [x,x](f\cdot g)=[x]f\cdot [x,x]g+[x,x]f\cdot [x]g=f(x)g'(x)+f'(x)g(x)}

schließt die originale Leibnizregel mit ein.

Abstraktion: Derivationen

Hauptartikel: Derivation (Mathematik)

Allgemein nennt man Abbildungen D, welche die Produktregel

D(uv) = v\cdot D(u) + u\cdot D(v)

erfüllen, Derivationen. Die Reihenfolge der Faktoren ist hier für den Fall einer Derivation A\to M mit einer Algebra A und einem A-Linksmodul M gewählt.

Im Zusammenhang mit \mathbb {Z} - oder \mathbb Z/2\mathbb Z-graduierten Algebren („Superalgebren“) muss der Begriff der Derivation jedoch durch den der Antiderivation ersetzt werden. Die entsprechende Gleichung lautet dann

D(uv)=D(u)\cdot v+(-1)^{{|u|}}\cdot u\cdot D(v)

für homogene Elemente {\displaystyle u,\ v.} Dabei bezeichnet |u| den Grad von u. Das prominenteste Beispiel einer Antiderivation ist die äußere Ableitung für Differentialformen

\mathrm d(\omega\wedge\eta)=\mathrm d\omega\wedge\eta+(-1)^{|\omega|}\cdot\omega\wedge\mathrm d\eta.

Literatur

Die Produktregel für Funktionen wird in jedem Buch erläutert, das Differentialrechnung in allgemeiner Form behandelt.

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Basierend auf einem Artikel in: Wikipedia.de
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 03.10. 2021