Dirac-Gleichung
Die Dirac-Gleichung ist eine grundlegende Gleichung der relativistischen Quantenmechanik. Sie beschreibt die Eigenschaften und das Verhalten eines fundamentalen Fermions mit Spin 1/2 (zum Beispiel Elektron, Quark). Sie wurde 1928 von Paul Dirac entwickelt und erfüllt im Gegensatz zur Schrödingergleichung die Anforderungen der speziellen Relativitätstheorie.
Die Dirac-Gleichung ist eine partielle Differentialgleichung erster Ordnung 
sowohl in den drei Raumkoordinaten als auch in der Zeit, im Einklang mit der von 
der speziellen Relativitätstheorie geforderten Invarianz unter Lorentz-Transformationen. 
Im nichtrelativistischen Grenzfall () 
geht sie in die Pauli-Gleichung 
über, die im Gegensatz zur Schrödingergleichung noch die Spin-Bahn-Kopplung 
und weitere Terme enthält. Jede Lösung der Dirac-Gleichung entspricht einem 
möglichen Zustand 
des betreffenden Teilchens, mit der Besonderheit, dass zur Darstellung dieses 
Zustands vier räumliche Wellenfunktionen nötig sind (s. Dirac-Spinor), statt zwei 
in der nichtrelativistischen Theorie mit Spin oder einer einzigen im Fall von 
spinlosen Teilchen. Für die von der Dirac-Gleichung beschriebenen Teilchen gilt: 
- Für ein freies Teilchen ist die relativistische Energie-Impuls-Beziehung 
  
erfüllt.
 
- Für ein Teilchen im elektrostatischen Feld einer Punktladung ergibt sich das Wasserstoffspektrum mit seiner Feinstruktur.
 
- Das Teilchen hat einen Eigendrehimpuls (Spin), der die Quantenzahl 1/2 hat und – weil dies in der klassischen Physik nicht vorkommt – nicht wie bei einem Kreisel auf die Rotation einer Massenverteilung zurückgehen kann.
 
- Trägt das Teilchen eine elektrische Ladung, so ist mit dem Spin stets auch ein magnetisches Dipolmoment verknüpft. Im Vergleich mit dem magnetischen Dipol, den das Teilchen durch eine Rotationsbewegung bei gleich großem Drehimpuls hervorrufen würde, hat das mit dem Spin verbundene Moment die doppelte Stärke (s. Anomales magnetisches Moment des Elektrons).
 
- Zu dem Teilchen existiert ein Antiteilchen (zum Elektron also ein sog. Positron) mit derselben Masse und demselben Spin, aber mit entgegengesetzter Ladung und magnetischem Moment.
 
Alle genannten Eigenschaften entsprechen den experimentellen Befunden. Zur Zeit der Entdeckung der Dirac-Gleichung 1928 waren die vier erstgenannten schon bekannt, nicht aber ihre gemeinsame Grundlage. Die letztgenannte Eigenschaft wurde durch die Dirac-Gleichung vorhergesagt, und der erste Nachweis eines Antiteilchens gelang 1932 Carl David Anderson (s. Positron).
Der in der Diracgleichung vorkommende Differentialoperator spielt auch in der Mathematik (Differentialgeometrie) eine große Rolle (Dirac-Operator).
Dirac-Gleichung eines ungeladenen Teilchens
Die Dirac-Gleichung ist ein System von vier gekoppelten partiellen 
Differentialgleichungen für die vier Komponentenfunktionen 
desDirac-Spinors . 
Die Variable 
 
steht hier für 
 
worin der obere Index 0 die Zeit 
 
und die Indizes 1 bis 3 die Ortskoordinaten 
 
bezeichnen. 
In natürlichen 
Maßeinheiten mit  
lautet die Dirac-Gleichung für ein ungeladenes Teilchen der Masse 
 
Der Ausdruck in eckigen Klammern ist die Standardform eines Dirac-Operators.
Die konstanten Gamma- 
oder Dirac-Matrizen  
und 
 
wirken im Raum der vier Komponenten des Spinors und koppeln sie aneinander. Die 
Produkte von zwei Gamma-Matrizen haben die folgenden Eigenschaften: 
Damit bilden sie eine Clifford- oder Dirac-Algebra. Wird der Dirac-Operator
auf beide Seiten der Dirac-Gleichung angewandt, entkoppeln die vier 
Differentialgleichungen und man erhält für jede Komponente von  
die Klein-Gordon-Gleichung: 
Die zweimalige Anwendung eines Dirac-Operators führt also auf die 
Klein-Gordon-Gleichung, weshalb die Dirac-Gleichung auch als die „Wurzel“ aus 
der Klein-Gordon-Gleichung angesehen wird. Für ein Teilchen in einem 
Impulseigenzustand ergibt die Klein-Gordon-Gleichung (in der Reihenfolge ihrer 
Terme) , 
also die relativistische Energie-Impuls-Beziehung 
eines Teilchens der Masse 
 
Jede irreduzible Darstellung der Dirac-Algebra besteht aus -Matrizen. 
In der Standard- oder Dirac-Darstellung haben sie die folgende Form 
(verschwindende Matrixelemente mit Wert Null sind dabei nicht 
angeschrieben):
Die beiden ersten Komponenten von  
bilden also die zweikomponentige Einheitsmatrix, die beiden letzten Komponenten 
deren Negatives. Analog ergeben die beiden oberen Komponenten der zweiten, 
dritten bzw. vierten 
-Matrix 
die drei 2×2-Pauli-Matrizen 
 
und die beiden letzten Komponenten von 
 
deren Negatives. Letztere gehen im nichtrelativistischen Grenzfall wie 
 
gegen Null. Damit eignet sich diese Darstellung, die Standarddarstellung, 
besonders für die Behandlung langsam bewegter Elektronen. In der dazu 
mathematisch und physikalisch äquivalenten Weyl-Darstellung ist das 
Spinor-Transformationsverhalten bei Lorentztransformationen besonders einfach, 
in der ebenfalls äquivalenten Majorana-Darstellung ist die Dirac-Gleichung ein 
reelles Gleichungssystem. Weitere Darstellungen erhält man durch 
Äquivalenztransformationen. 
Die vier Gamma-Matrizen lassen sich in symbolischer Schreibweise zu dem kontravarianten 4-Vektor
zusammenfassen. Dann hat der erste Term der Dirac-Gleichung die Form eines 
Skalarprodukts der Vektoren  
und 
. 
Dieses ist bei Lorentztransformation jedoch nicht invariant, denn 
 
bleibt konstant. Die Lorentzinvarianz der Dirac-Theorie ergibt sich erst 
dadurch, dass der Dirac-Operator auf einen Spinor 
 
wirkt, dessen vier Komponenten geeignet mittransformiert werden. Im Endergebnis 
geht damit eine Lösung 
 
der Dirac-Gleichung durch Lorentztransformation in eine Lösung der entsprechend 
transformierten Dirac-Gleichung über. 
Impulsraum und Slash-Notation
Neben der eben beschriebenen Form im Ortsraum kann die Dirac-Gleichung auch im Impulsraum aufgeschrieben werden. Sie lautet dann
wobei zur Abkürzung die einsteinsche Summenkonvention benutzt wurde (die besagt, dass über gleiche Indizes summiert wird). In der noch weiter vereinfachten Feynman-Slash-Notation wird das Skalarprodukt mit den Gamma-Matrizen durch ein Slash-Symbol ausgedrückt. Es ergibt sich im Ortsraum
und im Impulsraum gilt
Eichinvarianz und elektromagnetische Wechselwirkung
Wenn  
die Dirac-Gleichung löst, dann löst auch der mit einer Phase 
 
multiplizierte Spinor 
 
die Dirac-Gleichung. Da alle physikalisch messbaren Größen mit jedem Faktor 
 
auch den konjugiert komplexen Faktor 
 
enthalten, sind sie und die Dirac-Gleichung invariant unter dieser 
Phasentransformation des Dirac-Spinors 
. 
Bei nichtkonstantem  
ergibt das eine zusätzliche U(1)-Eichinvarianz, und die partiellen Ableitungen 
müssen durch sog. kovariante Ableitungen ersetzt werden: Aus der Forderung der 
Invarianz unter allen Phasentransformationen, die stetig-differenzierbar von 
Zeit und Ort abhängen, 
ergibt sich die Notwendigkeit, die
partiellen Ableitungen in der Dirac-Gleichung durch die kovariante Ableitung zu ersetzen:
Die hier auftretenden vier Funktionen  
bilden in der Physik das sog. Viererpotential oder Eichfeld. Mathematisch 
handelt es sich um eine Konnexion oder einen Zusammenhang. 
Definiert man das transformierte Eichfeld durch 
dann löst  
die Dirac-Gleichung mit dem Eichfeld 
 
oder in Slash-Notation
genau dann, wenn der transformierte Dirac-Spinor die Dirac-Gleichung mit dem 
transformierten Eichfeld erfüllt. Transformationen, deren Parameter so wie hier 
die Phase  
beliebig von Zeit und Ort abhängen dürfen, heißen in der Physik lokale Eichtransformationen. 
Bei dem Eichfeld handelt es sich um das skalare Potential  
und das Vektorpotential 
 
der Elektrodynamik, 
Wenn man sie wie angegeben transformiert, bleiben die elektrische und magnetische Feldstärke
und alle anderen messbaren Größen unverändert.
Die Dirac-Gleichung mit kovarianter Ableitung und die Elektrodynamik sind 
invariant unter beliebigen zeit- und ortsabhängigen Transformationen der Phase 
des Dirac-Spinors. Der Parameter  
in der kovarianten Ableitung bestimmt die Stärke der Ankopplung der 
elektromagnetischen Potentiale an den Dirac-Spinor. Er entspricht dabei genau 
der elektrischen Ladung des Teilchens. 
Die Ersetzung der partiellen Ableitungen in der Dirac-Gleichung durch eine kovariante Ableitung koppelt die elektromagnetischen Potentiale an den Dirac-Spinor. Man spricht dabei von sog. minimaler Kopplung im Gegensatz zu einem Kopplungsterm wie „magnetische Feldstärke mal Dirac-Spinor“, der auch eichinvariant wäre, aber nicht zur Ergänzung einer Ableitung zu einer kovarianten Ableitung erforderlich ist.
Schrödingerform
Nach Multiplikation mit  
kann man wegen 
 
in der Dirac-Gleichung nach der Zeitableitung auflösen und die Dirac-Gleichung 
in die Form einer Schrödinger-Gleichung 
bringen, 
Die hier auftretenden 4×4-Matrizen, die leicht von den entsprechenden -Matrizen 
verschieden sind, 
 
lassen sich ebenfalls kompakt mit Hilfe der Pauli-Matrizen 
durch Blöcke von 2×2-Matrizen 
 
beschreiben: 
Der Differentialoperator auf der rechten Seite der Schrödinger-Gleichung ist 
der zur Dirac-Gleichung gehörige Hamiltonoperator 
 
Die möglichen Energien des Teilchens sind Eigenwerte dieses 
Hamiltonoperators. 
Dabei zeigt die mathematische Untersuchung im Fall eines ungeladenen 
Teilchens (), 
dass das Spektrum positive und negative Werte enthält, ebenso wie man aus der 
Energie-Impuls-Relation der Klein-Gordon-Gleichung 
 
(in natürlichen 
Maßeinheiten mit 
) 
die positiven und negativen Energiewerte 
 
erhält. 
Da Teilchen mit negativer Energie nie beobachtet wurden und da eine Welt mit Teilchen, deren Energien nach oben und nach unten unbeschränkt ist, instabil wäre, postulierte Dirac, dass das Vakuum ein Dirac-See sei, in dem jeder denkbare Zustand negativer Energie schon besetzt sei, sodass weitere Elektronen nur positive Energien annehmen könnten. Füge man diesem Dirac-See genügend Energie, mindestens die Ruheenergie zweier Elektronen, hinzu, so könne man einem See-Elektron positive Energie verleihen und das entstehende Loch verhielte sich wie ein Zustand mit der restlichen, ebenfalls positiven Energie und der fehlenden, entgegengesetzten Ladung. So sagte Dirac die Existenz von Antiteilchen und die Paarerzeugung von Elektron-Positron-Paaren voraus, die ein Jahr später beobachtet wurden.
Die Vorstellung eines Dirac-Sees gilt allerdings heute als unhaltbar 
und ist durch die Feynman-Stückelberg-Interpretation 
ersetzt. Sie deutet die Dirac-Gleichung als Gleichung für ein Quantenfeld , 
das ist mathematisch ein Operator, der in den quantenmechanischen Zuständen 
Teilchen oder Antiteilchen erzeugt oder vernichtet. Die Erzeugung und 
Vernichtung von Teilchen während der Wechselwirkung des Elektrons mit dem Proton 
führt in der Quantenelektrodynamik 
zu einer kleinen Verschiebung der Energien verschiedener Zustände des 
Wasserstoffatoms, die ohne diese Erzeugungs- und Vernichtungsvorgänge gleiche 
Energie hätten. Die berechnete Größe dieser Lamb-Verschiebung 
stimmt innerhalb der Messgenauigkeit von sechs Stellen mit dem gemessenen Wert 
überein. 
Die Erzeugung und Vernichtung von Teilchen während der Wechselwirkung des 
Elektrons mit einem Magnetfeld ändert auch den Dirac-Wert  
des gyromagnetischen 
Faktors. Sie bewirkt ein sogenanntes anomales magnetisches Moment, von dem 
man auch als g-2-Anomalie spricht. Der in der Quantenelektrodynamik 
berechnete Wert von 
 
stimmt mit dem gemessenen Wert auf zehn Dezimalstellen überein. 
Herleitung des gyromagnetischen Faktors
Ausgehend von der Schrödingerform der Dirac-Gleichung für ein Teilchen im elektromagnetischen Feld wird der Dirac-Spinor in zwei Zweierspinoren aufgespalten.
mit
Unter der Annahme, dass sich das Teilchen nur langsam bewegt, sodass seine Energie nur wenig größer als seine Ruheenergie ist, kann die schnelle Zeitentwicklung, die von der Ruheenergie herrührt, abgespalten werden:
Aus diesem Ansatz folgt:
In der zweiten Zeile sind nach Annahme sowohl die Zeitableitung als auch die 
kinetischen Energien und die elektrostatische Energie klein gegenüber der 
Ruheenergie . 
Daher ist 
 
klein gegen 
 
und ungefähr gleich 
.
In die erste Zeile eingesetzt ergibt sich:
Für das Produkt der Pauli-Matrizen erhält man
Der Spinor  
genügt daher der Pauli-Gleichung 
mit dem nichtklassischen Wert 
 
Dabei sind  
die Komponenten des Spin-Operators. 
Im homogenen Magnetfeld gilt  
und mit 
 
wenn man Terme vernachlässigt, die quadratisch in  
sind. Dann besagt die Pauli-Gleichung 
Das Magnetfeld koppelt folglich nicht nur an den Bahndrehimpuls  
und trägt nicht nur 
 zur Energie bei. Der Faktor 
 ist das Magneton 
des Teilchens. In Drehimpulseigenzuständen ist 
 ein ganzzahliges Vielfaches der Magnetfeldstärke 
. 
Dagegen ergibt 
 
ein halbzahliges Vielfaches, das erst nach Multiplikation mit 
 
ganzzahlig wird.[1] 
Realisierungen in Hochenergie- und Festkörperphysik
Die Dirac-Gleichung bildet (nach Quantisierung des zugehörigen klassischen 
Feldes)[2] 
die Grundlage der relativistischen 
Quantenfeldtheorien der Hochenergiephysik. 
Erst seit wenigen Jahren[3] 
weiß man, dass auch bei nichtrelativistischen Energien Realisierungen 
existieren, nämlich bei Graphenen, 
das sind Schichtsysteme, die mit Graphit zusammenhängen. Und zwar braucht man 
hier nur den Grenzwert verschwindender Masse (sog. chiraler Limes)  
zu betrachten, und es ist zusätzlich die Lichtgeschwindigkeit 
 
durch die Grenzgeschwindigkeit 
 
des Elektronensystems, die sog. Fermi-Geschwindigkeit 
zu ersetzen. Als Konsequenz sind bei diesem System Energie 
 
und Impuls 
 
zueinander proportional (
), 
während sonst bei nichtrelativistischen Elektronen 
 
gilt. Darüber hinaus ergeben sich zahlreiche weitere Besonderheiten.[3] 
Literatur
- P. A. M. Dirac: The Quantum Theory of the Electron. In: Proceedings of the Royal Society of London. Series A. Band 117, Nr. 778, 1. Januar 1928,
 - James 
  Bjorken, Sidney 
  Drell: Relativistische Quantenmechanik. Mannheim, Bibliographisches 
  Institut, 1990. (BI Hochschultaschenbücher; 98/98a), ISBN 
  3-411-00098-8.
Engl. Originalausgabe: Relativistic Quantum Mechanics. McGraw-Hill, New York 1964, ISBN 0-07-005493-2. - R. P. Feynman: Quantenelektrodynamik. 4 Auflage, ISBN 3-486-24337-3.
 - Walter Greiner: Relativistische Quantenmechanik. Wellengleichungen. Band 6, ISBN 3-8171-1022-7.
 
Anmerkungen
- ↑ 
  Bei isolierten Atomen oder Ionen 
  muss man den Gesamt-Bahndrehimpuls und den Gesamt-Spindrehimpuls des Atoms 
  bzw. Ions zu einem Gesamtdrehimpuls J 
  (= L+S) addieren und erhält den sog. Landé-Faktor g(L, 
  S; J). Dieser ist 1 bei reinem Gesamt-Bahndrehimpuls und 2 bei reinem 
  Gesamt-Spindrehimpuls, und hat sonst von 1 und 2 verschiedene Werte. Wenn 
  ferner die betroffenen Atome in einen Festkörper eingebaut sind, erhält man 
  Zusatzbeiträge, die 
wesentlich verändern können. Der Ferro- und Paramagnetismus typischer Repräsentanten ferromagnetischer oder paramagnetischer fester Körper bzw. paramagnetischer Moleküle ist trotzdem meist überwiegend Spinmagnetismus, weil experimentell sehr oft
gemessen wird.
 - ↑ Oft spricht man von zweiter Quantisierung.
 - ↑ a b Siehe den Artikel Graphen.
 


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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 16.12. 2021