Vollständiger Raum

Ein vollständiger Raum ist in der Analysis ein metrischer Raum, in dem jede Cauchy-Folge von Elementen des Raums konvergiert. Zum Beispiel ist der Raum der rationalen Zahlen mit der Betragsmetrik nicht vollständig, weil etwa die Zahl {\sqrt {2}} nicht rational ist, es jedoch Cauchy-Folgen rationaler Zahlen gibt, die bei Einbettung der rationalen Zahlen in die reellen Zahlen gegen {\sqrt {2}} und somit gegen keine rationale Zahl konvergieren. Es ist aber stets möglich, die Löcher auszufüllen, also einen unvollständigen metrischen Raum zu vervollständigen. Im Fall der rationalen Zahlen erhält man dadurch den Raum der reellen Zahlen.

Definition

Eine Folge (x_n)_{n \in \N} von Elementen eines metrischen Raums (M,d) heißt Cauchy-Folge, falls

\forall \varepsilon >0\quad \exists N\in \mathbb{N} \quad \forall n,m\geq N\quad d(x_{n},x_{m})<\varepsilon

gilt. Weiter konvergiert eine Folge (x_n)_{n \in \N} gegen ein Element x\in M, falls

\forall \varepsilon >0\quad \exists N\in \mathbb{N} \quad \forall n\geq N\quad d(x_{n},x)<\varepsilon

gilt.

Ein metrischer Raum heißt nun vollständig, wenn in ihm jede Cauchy-Folge konvergiert.

Anmerkungen

Beispiele

d(x,y)=|x-y|
nicht vollständig, denn die Folge rationaler Zahlen x_{1}=1,x_{{n+1}}={\tfrac  {x_{n}}{2}}+{\tfrac  {1}{x_{n}}} ist eine Cauchy-Folge, deren Grenzwert (siehe Heron-Verfahren) die irrationale Zahl {\sqrt {2}} ist, die nicht in \mathbb {Q} liegt.
d(x,y):=|x-y|+{\frac  1x}+{\frac  1y}+{\frac  1{1-x}}+{\frac  1{1-y}}   für   x\not =y.
d(x,y)=|x-y|_{p},
ebenso wie \mathbb {R} die Vervollständigung von \mathbb {Q} für die Metrik des Absolutbetrags ist.
d(x,y)={\sqrt  {\langle x-y,x-y\rangle }}
vollständig. Einen vollständigen Skalarproduktraum nennt man Hilbertraum.
d(x,y)=\|x-y\|
vollständig. Einen vollständigen normierten Raum nennt man Banachraum.
d((x_{n}),(y_{n}))={\frac  {1}{N}}
setzt, wobei N der kleinste Index ist, für den x_{N} verschieden von y_{N} ist, und wobei der Abstand einer Folge zu sich selbst {\displaystyle 0} ist.

Einige Sätze

Jeder kompakte metrische Raum ist vollständig. Ein metrischer Raum ist genau dann kompakt, wenn er vollständig und totalbeschränkt ist.

Eine Teilmenge eines vollständigen Raumes ist selbst genau dann vollständig, wenn sie abgeschlossen ist.

Ist X eine nichtleere Menge und (M,d) ein vollständiger metrischer Raum, dann ist der Raum B(X,M) der beschränkten Funktionen von X nach M mit der Metrik

d(f,g):=\sup _{x}d(f(x),g(x))

ein vollständiger metrischer Raum.

Ist X ein topologischer Raum und (M,d) ein vollständiger metrischer Raum, dann ist die Menge C_{b}(X,M) der beschränkten stetigen Funktionen von X nach M eine abgeschlossene Teilmenge von B(X,M) und als solche mit der obigen Metrik vollständig.

In der riemannschen Geometrie ist die Aussage metrischer Vollständigkeit äquivalent zu der geodätischer Vollständigkeit (Satz von Hopf-Rinow).


Vervollständigung

Jeder metrische Raum M mit einer Metrik d kann vervollständigt werden, das heißt, es gibt einen vollständigen metrischen Raum {\hat  M} mit einer Metrik {\hat  d} und einer Isometrie \varphi \colon M\rightarrow {\hat  M}, so dass \varphi (M) dicht in {\hat  M} liegt. Der Raum {\displaystyle ({\hat {M}},{\hat {d}})} heißt Vervollständigung von (M,d). Da alle Vervollständigungen von (M,d) isometrisch isomorph sind, spricht man auch von der Vervollständigung von (M,d).

Konstruktion

Die Vervollständigung von M kann man als Menge von Äquivalenzklassen von Cauchy-Folgen in M konstruieren.

Sei dazu zunächst {\displaystyle {\tilde {M}}} die Menge der Cauchy-Folgen {\displaystyle {\tilde {x}}:=\left(x_{m}\right)_{m\in \mathbb {N} }} in M, und sei der Abstand {\displaystyle {\tilde {d}}({\tilde {x}},{\tilde {y}})} zweier Cauchy-Folgen {\displaystyle {\tilde {x}},{\tilde {y}}\in {\tilde {M}}} durch

{\displaystyle {\tilde {d}}({\tilde {x}},{\tilde {y}}):=\lim _{m,n\in \mathbb {N} }d(x_{m},y_{n})}

definiert. Dieser Abstand ist wohldefiniert und eine Pseudometrik auf {\displaystyle {\tilde {M}}}. Die Eigenschaft

{\displaystyle {\tilde {d}}({\tilde {x}},{\tilde {y}})=0\quad \Longleftrightarrow \quad {\bigl (}\forall \varepsilon >0\;\exists N\in \mathbb {N} \;\forall m,n\geq N\colon \;d(x_{m},y_{n})<\varepsilon {\bigr )}\quad \Longleftrightarrow :\quad {\tilde {x}}\sim {\tilde {y}}}

definiert eine Äquivalenzrelation auf {\displaystyle {\tilde {M}}}. Der Abstand {\displaystyle {\tilde {d}}} lässt sich folgendermaßen auf die Quotientenmenge {\displaystyle {\hat {M}}:={\tilde {M}}/\!\sim } übertragen:

Sind {\displaystyle {\hat {x}},{\hat {y}}\in {\hat {M}}} zwei Äquivalenzklassen und {\displaystyle {\tilde {x}}\in {\hat {x}}} und {\displaystyle {\tilde {y}}\in {\hat {y}}} zwei (beliebige) Repräsentanten, dann definiert man
{\displaystyle {\hat {d}}({\hat {x}},{\hat {y}}):={\tilde {d}}({\tilde {x}},{\tilde {y}})}
als Abstand in {\displaystyle {\hat {M}}}. Er ist wohldefiniert, und {\displaystyle {\hat {d}}({\hat {x}},{\hat {y}})={\tilde {d}}({\tilde {x}},{\tilde {y}})=0} ist genau dann, wenn {\displaystyle {\tilde {x}}\sim {\tilde {y}}} äquivalent sind.

Damit ist {\displaystyle ({\hat {M}},{\hat {d}})} ein metrischer Raum.

Man kann jedem Element x\in M die stationäre Folge {\displaystyle \varphi (x):=(x)_{m\in \mathbb {N} }\in {\tilde {M}}} zuordnen, denn sie ist eine Cauchy-Folge. Die Äquivalenzklasse {\displaystyle {\hat {x}}:=\{\xi \in {\tilde {M}}\mid \xi \sim \varphi (x)\}} liegt in {\displaystyle {\hat {M}}}. Auf diese Weise lässt sich der ursprüngliche metrische Raum {\displaystyle (M,d)} in {\displaystyle ({\hat {M}},{\hat {d}})} einbetten.

Da die Elemente {\displaystyle {\tilde {x}}=:\left(x_{m}\right)_{m\in \mathbb {N} }\in {\tilde {M}}} alle Cauchy-Folgen aus M sind, gibt es zu jedem \varepsilon>0 ein approximierendes {\displaystyle x_{n}\in M} mit

{\displaystyle {\tilde {d}}({\tilde {x}},\varphi (x_{n}))=\lim _{m\in \mathbb {N} }d(x_{m},x_{n})<\varepsilon } .

Das Bild \varphi (M) liegt also dicht in {\tilde  M}, und das lässt sich auf {\displaystyle {\hat {M}}={\tilde {M}}/\!\sim } übertragen.

Im Folgenden sei der Kürze halber der Funktionsname \varphi weggelassen.

{\displaystyle ({\hat {M}},{\hat {d}})} ist überdies vollständig.

Beweis  

Sei {\displaystyle {\hat {x}}:=\left({\hat {x}}_{\mu }\right)_{\mu \in \mathbb {N} }} eine Cauchy-Folge von Elementen aus {\displaystyle {\hat {M}}}. Zu zeigen ist:

{\displaystyle {\hat {x}}} besitzt in {\displaystyle {\hat {M}}} einen Limes.

Im Folgenden wird an Stelle der Äquivalenzklasse {\displaystyle {\hat {x}}_{\mu }} einer ihrer Repräsentanten {\displaystyle \left(x_{\mu m}\right)_{m\in \mathbb {N} }:={\tilde {x}}_{\mu }\in {\hat {x}}_{\mu }} genommen. Das geht, weil {\displaystyle {\hat {x}}_{\mu }} und {\displaystyle {\tilde {x}}_{\mu }} sich unter der Metrik äquivalent verhalten.

Der einfacheren Darlegung halber sei vorausgesetzt, dass zwei aufeinanderfolgende Repräsentanten {\displaystyle {\tilde {x}}_{\mu }\nsim {\tilde {x}}_{\mu +1}} nicht zueinander äquivalent sind. (Ist das nämlich nicht der Fall, dann bildet man die duplikatfreie Teilfolge, deren Konvergenz die der Ausgangsfolge nach sich zieht; oder die Folge wird stationär {\displaystyle \exists \mu \in \mathbb {N} \colon \forall \nu >\mu \implies {\tilde {x}}_{\nu }\sim {\tilde {x}}_{\mu }}, dann ist {\displaystyle \lim _{\nu \in \mathbb {N} }{\tilde {x}}_{\nu }\sim {\tilde {x}}_{\mu }\in \lim _{\mu \in \mathbb {N} }{\hat {x}}_{\mu }}.)

Setzung: {\displaystyle \varepsilon _{\mu }:={\tilde {d}}\left({\tilde {x}}_{\mu },{\tilde {x}}_{\mu +1}\right)} .

Weil {\displaystyle \left({\tilde {x}}_{\mu }\right)_{\mu \in \mathbb {N} }} eine Cauchy-Folge ist, ist {\displaystyle \left(\varepsilon _{\mu }\right)_{\mu \in \mathbb {N} }} eine Nullfolge und {\displaystyle \forall \mu \implies \varepsilon _{\mu }>0}.

Da jedes {\displaystyle {\tilde {x}}_{\mu }=:\left(x_{\mu m}\right)_{m\in \mathbb {N} }} selbst eine Cauchy-Folge mit Gliedern aus M ist, kann zu jedem {\displaystyle {\tilde {x}}_{\mu }} ein approximierendes {\displaystyle x_{\mu m_{\mu }}\in M} mit der Eigenschaft

{\displaystyle {\tilde {d}}(x_{\mu m_{\mu }},{\tilde {x}}_{\mu })<\varepsilon _{\mu }}

gewählt werden, analog zum Folgenglied {\displaystyle {\hat {x}}_{\nu }\ni {\tilde {x}}_{\nu }=:\left(x_{\nu n}\right)_{n\in \mathbb {N} }} ein approximierendes {\displaystyle x_{\nu n_{\nu }}\in M} mit {\displaystyle {\tilde {d}}(x_{\nu n_{\nu }},{\tilde {x}}_{\nu })<\varepsilon _{\nu }}. Und da {\displaystyle {\hat {x}}:=\left({\hat {x}}_{\mu }\right)_{\mu \in \mathbb {N} }} Cauchy ist, gibt es zu jedem {\displaystyle \varepsilon >0} ein {\displaystyle J\in \mathbb {N} }, so dass

{\displaystyle \forall \mu ,\nu >J\implies {\hat {d}}({\hat {x}}_{\mu },{\hat {x}}_{\nu })={\tilde {d}}\left({\tilde {x}}_{\mu },{\tilde {x}}_{\nu }\right)<{\tfrac {\varepsilon }{3}}}.

Ferner gibt es ein {\displaystyle I\in \mathbb {N} } und ein {\displaystyle K\in \mathbb {N} }, so dass

{\displaystyle \forall \mu >I\implies \varepsilon _{\mu }={\tilde {d}}(x_{\mu m_{\mu }},{\tilde {x}}_{\mu })<{\tfrac {\varepsilon }{3}}}   und   {\displaystyle \forall \nu >K\implies \varepsilon _{\nu }={\tilde {d}}(x_{\nu n_{\nu }},{\tilde {x}}_{\nu })<{\tfrac {\varepsilon }{3}}}

ist. Mit {\displaystyle L:=\max\{I,J,K\}} sind für {\displaystyle \mu ,\nu >L} die drei Distanzen {\displaystyle {\tilde {d}}\left(x_{\mu m_{\mu }},{\tilde {x}}_{\mu }\right)}, {\displaystyle {\tilde {d}}\left({\tilde {x}}_{\mu },{\tilde {x}}_{\nu }\right)} und {\displaystyle {\tilde {d}}\left({\tilde {x}}_{\nu },x_{\nu n_{\nu }}\right)} alle {\displaystyle <{\tfrac {\varepsilon }{3}}}, also

{\displaystyle {\begin{array}{ll}d\left(x_{\mu m_{\mu }},x_{\nu n_{\nu }}\right)={\tilde {d}}\left(x_{\mu m_{\mu }},x_{\nu n_{\nu }}\right)&\leq {\tilde {d}}\left(x_{\mu m_{\mu }},{\tilde {x}}_{\mu }\right)+{\tilde {d}}\left({\tilde {x}}_{\mu },{\tilde {x}}_{\nu }\right)+{\tilde {d}}\left({\tilde {x}}_{\nu },x_{\nu n_{\nu }}\right)\\&<{\tfrac {\varepsilon }{3}}+{\tfrac {\varepsilon }{3}}+{\tfrac {\varepsilon }{3}}=\varepsilon .\end{array}}}

Somit ist {\displaystyle {\tilde {y}}:=\left(x_{\mu m_{\mu }}\right)_{\mu \in \mathbb {N} }} Cauchy und {\displaystyle \in {\tilde {M}}}. Seine Äquivalenzklasse sei {\displaystyle {\hat {y}}:=\{\eta \in {\tilde {M}}\mid \eta \sim {\tilde {y}}\}\in {\hat {M}}}. Da genauso

{\displaystyle \forall \mu >I\implies {\hat {d}}({\hat {y}},{\hat {x}}_{\mu })<{\tfrac {\varepsilon }{3}}},

ergibt sich

{\displaystyle {\hat {y}}=\lim _{\mu \in \mathbb {N} }{\hat {x}}_{\mu }} .

Damit wird die aus dem Wort „vervollständigt“ resultierende Erwartung „vollständig“ tatsächlich eingelöst, und die Vervollständigung eines bereits vollständigen Raumes bringt nichts Neues.

Ist M ein normierter Raum, so kann man seine Vervollständigung auch einfacher bilden, indem man

{\hat  M}:=\overline {\varphi (M)}\subseteq M^{{\prime \prime }}

als den Abschluss des Bildes von M im Bidualraum M^{{\prime \prime }} unter der kanonischen Einbettung \varphi \colon M\rightarrow M^{{\prime \prime }} wählt.

Eigenschaften

Cantors Konstruktion der reellen Zahlen aus den rationalen ist ein Spezialfall hiervon. Allerdings muss man dabei, da die Metrik {\displaystyle {\tilde {d}}} die Existenz der reellen Zahlen schon voraussetzt, die Äquivalenzrelation dadurch definieren, dass die Differenzfolge zweier Cauchy-Folgen eine Nullfolge ist.

Vervollständigt man einen normierten Vektorraum, so erhält man einen Banachraum, der den ursprünglichen Raum als dichten Teilraum enthält. Daher erhält man auch einen Hilbertraum, wenn man einen euklidischen Vektorraum vervollständigt, denn die Parallelogrammgleichung bleibt in der Vervollständigung als normierter Raum erfüllt und das vollständige Skalarprodukt ergibt sich dann über die Polarisationsformel.

Gleichmäßig stetige Abbildungen eines metrischen Raumes M in einen vollständigen metrischen Raum X lassen sich stets eindeutig zu (automatisch ebenfalls gleichmäßig) stetigen Abbildungen auf der Vervollständigung {\hat  M} mit Werten in X fortsetzen.

Vollständig metrisierbare Räume

Vollständigkeit ist eine Eigenschaft der Metrik, nicht der Topologie, das heißt, ein vollständiger metrischer Raum kann homöomorph zu einem unvollständigen metrischen Raum sein. Zum Beispiel sind die reellen Zahlen vollständig, aber homöomorph zum offenen Intervall (0,1), das nicht vollständig ist (zum Beispiel ist \tan((x-1/2)\pi ) ein Homöomorphismus von (0,1) nach \mathbb {R} ). Ein anderes Beispiel sind die irrationalen Zahlen, die zwar nicht vollständig, aber homöomorph zum Raum der natürlichen Zahlenfolgen \mathbb{N} ^{\mathbb{N} } (ein Spezialfall eines Beispiels von oben) sind.

In der Topologie betrachtet man vollständig metrisierbare Räume, das heißt Räume, für die mindestens eine vollständige Metrik existiert, die die vorhandene Topologie erzeugt.

Uniforme Räume

Wie viele andere Begriffe aus der Theorie metrischer Räume lässt sich auch der Begriff der Vollständigkeit auf die Klasse der uniformen Räume verallgemeinern: Ein uniformer Raum (X,\Phi ) heißt vollständig, wenn jedes Cauchy-Netz konvergiert. Die meisten oben genannten Aussagen bleiben im Kontext uniformer Räume gültig, beispielsweise besitzt auch jeder uniforme Raum eine eindeutige Vervollständigung.

Topologische Vektorräume tragen eine natürliche uniforme Struktur und sie heißen vollständig, wenn sie bezüglich dieser uniformen Struktur vollständig sind. Sie heißen quasivollständig, wenn jedes beschränkte Cauchy-Netz konvergiert, das heißt, wenn jede beschränkte, abgeschlossene Menge vollständig ist.

Eine topologische Gruppe heißt vollständig, wenn sie bezüglich ihrer linken uniformen Struktur (oder äquivalent: zu ihrer rechten uniformen Struktur) vollständig ist.

Literatur

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Basierend auf einem Artikel in: Wikipedia.de
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 02.10. 2022