Symmetrischer Kreisel

Der symmetrische Kreisel ist in der Kreiseltheorie ein Kreisel mit zwei gleichen Hauptträgheitsmomenten. Typische symmetrische Kreisel sind der Lagrange-Kreisel und viele Spielkreisel. Ein wichtiger Spezialfall sind homogene Rotationskörper, die bezüglich der auf der Figurenachse liegenden Bezugspunkte symmetrische Kreisel abgeben.

Symmetrische Kreisel werden vielfach angewendet bei der Drallstabilisierung von Schiffen (Schiffskreisel), Raumflugkörpern, Kreiselinstrumenten und Trägheitsnavigationssystemen und sind Gegenstand in der Astronomie und Ballistik.

Allgemeines

Jeder Starrkörper besitzt drei Hauptträgheitsmomente und drei dazugehörige Hauptträgheitsachsen oder kurz Hauptachsen, die sich aus der Lösung des Eigenwertproblems des Trägheitstensors ermitteln.

Die für die Drehung um einen Fixpunkt oder den Massenmittelpunkt maßgeblichen Bewegungsgleichungen sind die Euler'schen Kreiselgleichungen.

Die Figurenachse ê3 ist beim symmetrischen Kreisel seine Symmetrieachse, bezüglich der er das dritte Hauptträgheitsmoment besitzt. Um diese Achse ist das Trägheitsellipsoid rotationssymmetrisch. Die Hauptachsen ê1,2 mit den beiden übereinstimmenden Hauptträgheitsmomenten sind senkrecht zur Figurenachse in der Äquatorebene und dort beliebig orientiert. Es werden zwei Achsen ausgewählt, sodass die Hauptachsen ê1,2,3 ein rechtshändiges Orthonormalsystem bilden. Abhängig davon, ob das axiale Hauptträgheitsmoment größer oder kleiner als das äquatoriale ist, wird der Kreisel abgeplattet oder gestreckt genannt.

Die Symmetrie verlangt nicht, dass der Kreiselkörper irgendwie im geometrischen Sinn symmetrisch wäre[1]. Insbesondere hängt die Symmetrie nach dem Steinerʹschen Satz vom Bezugspunkt ab; ein Kreisel kann daher bezüglich eines Punktes ein symmetrischer und bezüglich eines anderen Punktes ein unsymmetrischer Kreisel sein.

Die Symmetrie des Kreisels ist unabhängig von der Lage des Massenmittelpunkts. So sind der Kowalewskaja-Kreisel und der Goryachew-Chaplygin-Kreisel, jeweils mit einem abseits der Figurenachse gelegenen Massenmittelpunkt, trotzdem symmetrische Kreisel.

Hauptträgheitsmomente

Der symmetrische Kreisel hat ein doppeltes Hauptträgheitsmoment A und ein drittes C. Bei einem Starrkörper erfüllen sie die Dreiecksungleichungen

{\displaystyle A+C>A} und
{\displaystyle A+A>C}

siehe Trägheitsmoment. Während die erste Ungleichung immer zutrifft, bedeutet die zweite C < 2A oder umgekehrt A > C/2. Dann kann es einen symmetrischen Kreisel mit den Hauptträgheitsmomenten A und C geben.

Gyroskopische oder Drallstabilisierung

Abb. 1: Schwungrad zur Erläuterung der Kreiselwirkung

Eine der technisch wertvollsten Eigenschaften von symmetrischen Kreiseln ist die Möglichkeit, mit ihnen Körper in ihrer räumlichen Ausrichtung zu stabilisieren. Dies wird bei Schiffen, Raumflugkörpern und Geschossen ausgenutzt. Die Drallstabilisierung basiert auf Kreiselwirkungen.

Wirkt auf das rotierende Schwungrad im Bild beispielsweise ein nicht zu großes Moment Mz senkrecht zur Drehachse, dann beginnt diese nicht um z zu drehen, sondern führt eine Schwingung um z aus mit der Schwingungsgleichung

{\displaystyle {\ddot {\psi }}+\left({\frac {C}{A}}{\dot {\varphi }}\right)^{2}\psi ={\frac {M_{z}}{A}}}

Darin ist φ der Drehwinkel um die Figurenachse. Die Eigenkreisfrequenz der Schwingung der Figurenachse um die z-Achse ist demnach proportional zum Verhältnis der Trägheitsmomente und zur Winkelgeschwindigkeit um die Figurenachse. Die Schwingungsgleichung ist eine Näherung, die nur bei kleiner Auslenkung ψ gültig ist. Aus {\displaystyle {\dot {\vartheta }}=-{\tfrac {L}{A}}\psi } kann mit ψ auch ϑ berechnet werden.

Für die stabilisierende Kreiselwirkung ist dabei die freie Drehungsmöglichkeit der Figurenachse um die äquatorialen Achsen entscheidend. Wird die Drehachse durch Lager an die xy-Ebene gebunden, dann können die Momente der Trägheitskräfte nicht ihr Potenzial entfalten und es tritt keine Drallstabilisierung auf.

In einem komplizierteren Mechanismus ist eine Drallstabilisierung allerdings nicht immer möglich. William Thomso, 1. Baron Kelvin und Peter Guthrie Tait konnten zeigen,

  1. dass nur Systeme mit einer geraden Anzahl von labilen Freiheitsgraden gyroskopisch stabilisiert werden können, wobei indifferente Freiheitsgrade im Allgemeinen zu den labilen zu zählen sind,
  2. dass wenn keine Dämpfung vorhanden ist, die Stabilisierung einer geraden Anzahl von labilen Freiheitsgraden stets erzwungen werden kann und
  3. dass bei vorhandener Dämpfung gyroskopische Stabilisierung nur mit Hilfe künstlich angefachter Freiheitsgrade möglich ist.

Von den hier angesprochenen Freiheitsgraden sind die Drehwinkel um die Figurenachse (genauer die zyklischen Koordinaten) der Kreisel ausgenommen.

Winkelgeschwindigkeit und Drehimpuls

Beim symmetrischen Kreisel kann die Winkelgeschwindigkeit vorteilhaft mit dem Drehimpuls ausgedrückt werden:

{\displaystyle {\begin{aligned}{\vec {\omega }}=&p{\hat {e}}_{1}+q{\hat {e}}_{2}+r{\hat {e}}_{3}\\=&{\frac {1}{A}}(Ap{\hat {e}}_{1}+Aq{\hat {e}}_{2}+Cr{\hat {e}}_{3})+\left(1-{\frac {C}{A}}\right){\frac {Cr}{C}}{\hat {e}}_{3}\\=&{\frac {1}{A}}{\vec {L}}+{\frac {A-C}{AC}}L_{3}{\hat {e}}_{3}\end{aligned}}}

Hier bezeichnen

Daraus ist ersichtlich, dass beim symmetrischen Kreisel die Winkelgeschwindigkeit, der Drehimpuls und die Figurenachse immer komplanar sind. Aus dem Drallsatz ergibt sich weiters:

{\displaystyle {\begin{aligned}{\vec {M}}=&{\dot {\vec {L}}}={\frac {\mathrm {d} _{r}{\vec {L}}}{\mathrm {d} t}}+{\vec {\omega }}\times {\vec {L}}={\frac {\mathrm {d} _{r}{\vec {L}}}{\mathrm {d} t}}+{\frac {A-C}{AC}}L_{3}{\hat {e}}_{3}\times {\vec {L}}\\\rightarrow \;{\vec {M}}\cdot {\hat {e}}_{3}=&{\frac {\mathrm {d} _{r}{\vec {L}}}{\mathrm {d} t}}\cdot {\hat {e}}_{3}={\dot {L}}_{3}\end{aligned}}}

Darin bildet {\displaystyle {\tfrac {\mathrm {d} _{r}}{\mathrm {d} t}}} die relative Zeitableitung im Hauptachsensystem. Wenn das äußere Moment {\vec {M}} keine Komponente in Richtung der Figurenachse hat, was beim symmetrischen Euler-Kreisel, beim Lagrange-Kreisel und bei der regulären Präzession um die Lotrichtung der Fall ist, dann ist der Drehimpuls um die Figurenachse zeitlich konstant.

Reguläre Präzession um die Lotrichtung

Abb. 2: Reguläre Präzession eines symmetrischen Kreisels

Der symmetrische Kreisel führt wie in der Animation in Abb. 2 eine reguläre Präzession um die Lotrichtung aus, wenn die Figurenachse konstant geneigt ist und auf den Kreisel nur ein Drehmoment in Knotenrichtung wirkt (die senkrecht zur Lotrichtung und zur Figurenachse liegt). Ein solches Moment bringt auf den schweren Kreisel die lotrechte Gewichtskraft dauerhaft auf, wenn der Massenmittelpunkt auf der Figurenachse liegt.

Die Nutation des symmetrischen Euler-Kreisels kann als momentenfreier Spezialfall aufgefasst werden, wenn die Vertikale parallel zum Drehimpuls ausgerichtet wird.

Staude-Drehungen

Abb. 3: Karussell-Bewegung eines Kowalewskaja-Kreisels

Wenn der Massenmittelpunkt nicht auf der Figurenachse ist, kann der symmetrische Kreisel dann eine der regulären Präzession vergleichbare regelmäßige Bewegung ausführen, wenn der Massenmittelpunkt immer noch in der Präzessionsebene liegt. Das ist beispielsweise beim Kowalewskaja-Kreisel der Fall, wenn er, wie in der Animation in Abb. 3, Karussell-Bewegungen ausführt. Dabei handelt es sich um spezielle Staude-Drehungen, siehe Hauptartikel.

Anmerkungen

  1. Richard Grammel forderte 21 Jahre vor Magnus noch, dass beim symmetrischen schweren Kreisel der Massenmittelpunkt auf der Figurenachse liege, siehe Grammel (1920), S. 88 oder Grammel (1950), S. 78.

Literatur

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Basierend auf einem Artikel in: Wikipedia.de
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Datum der letzten Änderung:  Jena, den: 17.09. 2021